Der Einsturz der Garnisonkirche in Hannover am 23. Juli 1893
Nach der Annexion 1866 wurde die Stadt Hannover Hauptquartier des X. Armee-Korps der preußischen Armee und Friedensstandort eines Teils der ihm unterstellten 19. Division. Mit dem 24. 6. 1867 wurde gegen den Widerstand der lutherischen Geistlichkeit die preußische Militärkirchenordnung eingeführt und eine unierte Militärgemeinde gebildet, der sich auch zahlreiche Zivilbeamte in preußischen Diensten anschlossen. Die Gottesdienste fanden zunächst in der Schlosskirche statt. Mit rund 9000 Gemeindegliedern Anfang der 1890er Jahre reichten die dortigen Kapazitäten aber nicht mehr aus. Der Fiskus entschloss sich zum Neubau einer Garnisonkirche am Goetheplatz und beauftragte den Architekten Christoph Hehl mit einem Entwurf, der auch das Selbstbewusstsein und Repräsentationsbedürfnis der Gemeinde wiederspiegeln sollte.
Am 5. April 1892 wurde der Grundstein gelegt. Als preußisches Prestigeobjekt wurde ihr Bau durch Staat und Kaiser politisch und finanziell gefördert. Die Baukosten wurden teilweise aus außerplanmäßigen Haushaltsmitteln bestritten. Dass dazu auch auf den Welfenfonds (das beschlagnahmte Privatvermögen des ehemaligen hannoverschen Königshauses) zurückgegriffen wurde, sorgte in welfentreuen Kreisen für Empörung und bei der eingesessenen Bevölkerung für eine spürbare Ablehnung des Kirchenbaus. Die Finanzierung der Innenausstattung sollte weitgehend aus Eigenmitteln der Gemeinde und Sammlungen erfolgen. Als sich aber abzeichnete, dass auch hier die Mittel nicht ausreichten, bewilligte der Kaiser aus seinem Dispositionsfonds die notwendigen Gelder.
Noch vor der Vollendung stürzte am 23. Juli 1893 der südliche Glockenturm der Westfassade ein: Für die Hannoveraner ein willkommener Anlass, über die Kirche und die sie vertretende Obrigkeit zu spotten. Eine verbreitete Legende berichtete, ein Schuljunge habe vor der Kirche „Üb´ immer Treu und Redlichkeit“ gepfiffen – worauf die Kirchtürme angesichts der Finanzierung aus dem Welfenfonds beschämt niedersanken.
Unser Bild zeigt den abgesperrten Bereich um die Kirche vor Beginn der Aufräumarbeiten. Die Unglückstelle zog in den folgenden Tagen zahlreiche Schaulustige an, besonders nachdem die Zeitungen über das Ereignis berichtet hatten. "Ganz außerordentlich vergnügte Gesichter machten während des ganzen Tages die Inhaber der der Einsturzstelle benachbarten Restaurationen", vermeldete der Hannoversche Anzeiger. "Die gute alte Sitte nicht nur die fröhlichen, sondern auch die tragischen Ereignisse bei kreisendem Becher zu besprechen, behauptete auch diesesmal ihr Recht. Auch die bei der Bauleitung betheiligten Architekten hielten an dieser Sitte fest, bekämpften ihren Gram mit Essen und tranken tiefgerührt dazu."
Ursächlich für das Unglück waren der unzulängliche Baugrund im Bereich der im 18. Jahrhundert zugeschütteten Stadtbefestigung und Materialfehler. Wegen mangelhafter Bauaufsicht wurde Christoph Hehl zu einer Geldstrafe von 500 Mark verurteilt.